LSBT*Q-Jugendliche durch Corona stark belastet

Mehr als die Hälfte der schwulen, lesbischen, bisexuellen und trans* Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind durch die Corona-Krise und Social Distancing stark (22,97 %) oder sehr stark (39,20%) belastet. Das ergab eine Onlinebefragung mit 296 Teilnehmer*innen vom anyway – Raum für  junge Lesben, Schwule, Bi, Trans* und Queers aus Köln. Auf die Frage, ob die Belastung im Zusammenhang mit der LSBT*Q-Identität steht, antwortet ein Fünftel der Jugendlichen (20,22%) mit „ja“. Besonders betroffen sind  Jugendliche, die zu Hause ungeoutet sind oder deren Familien homo-, bi- oder trans*phob sind. Weiterhin wirken sich die physische Schließung der LSBT*Q-Jugendangebote, der Wegfall realer Kontakte im Freundeskreis, die Kontaktsperre zu Partner*innen sowie die Ungewissheit über die gesundheitliche Versorgung während der Transition negativ auf die psychische Situation der Befragten aus. Das zeigen die nicht-repräsentativen Ergebnisse der Umfrage. Einzelne qualitative Stichproben belegen die Herausforderungen, vor denen LSBT*Q-Jugendliche stehen (Rechtschreibung korrigiert und Aussagen gekürzt):

  • „Ich bin in meiner engen Familie nicht geoutet und kann somit nicht wirklich mein ‚wahres Ich‘ zeigen. Außerdem bin ich durch das Social Distancing, von meinen Freunden abgeschnitten. Natürlich kann ich sie über FaceTime oder andere Plattformen sehen – aber das ist einfach relativ schwierig, nicht bei ihnen sein zu können.“
  • „Ich bin jetzt seit weniger als einem Jahr Besucherin und fühle mich im any auch sehr akzeptiert. Ich bin lesbisch und lebe mit meiner psychisch kranken Mutter zusammen. Habe ihr von ein paar Jahren angedeutet, ich sei bisexuell, um das Wasser zu testen. Sie hat es sehr übel genommen. Mein einziger Weg mich von ihr zu distanzieren, war es, mich mit meinen Freunden zu treffen, zum Jugendamt, arbeiten oder einfach rauszugehen.“
  • „Während der Quarantäne bin ich wie viele andere in der Heimat bei meinen Eltern. Leider haben mein Vater und ich ein recht angespanntes Verhältnis zueinander. Das schließt auch LSBT*Q mit ein. Alle paar Tage eskaliert die angespannte Stimmung dann in einem Streit. Das Aus-dem-Weg-gehen funktioniert nicht und zu Freund*innen kann ich aufgrund der Situation auch nicht flüchten – und genau das fehlt mir aktuell sehr…“
  • „Mich belastet die Situation, weil ich im Mai meinen ersten Termin beim Endokrinologen habe und ich mir da schon Sorgen mache, dass das ausfällt und sich das mit der Hormontherapie noch länger zieht.“

Verzweifelter Jugendlicher am Spiegel. Foto: Léon M. Gruß, www.lmg-fotografie.de

„LSBT*Q-Jugendliche stehen insgesamt unter höher psychischer Belastung in unserer Gesellschaft. In Krisensituationen tritt dies besonders hervor und der Druck auf sie steigt, weil reale Frei- und Schutzräume wegfallen, in denen sie sie selbst sein können, wo sie auf Gleichgesinnte treffen oder in die sie auch für wenige Stunden flüchten können, um sich eine Auszeit vom Alltag zu nehmen“, sagt Jürgen Piger, Gesamtleitung anyway e.V.

Erweitertes Angebot während der Corona-Krise

Das anyway reagiert deshalb mit einem ausgedehnten virtuellen Angebot auf die Situation und baut zudem sein Beratungs- und Unterstützungsangebot deutlich aus. Ab dem 20. April gibt es an drei Tagen pro Woche die Möglichkeit, die größeren und kleineren Sorgen per Videotelefonie bei „Beratung und Smalltalk“ im Einzelgespräch mit einem*r qualifizierten Berater*in zu besprechen.

Darüber hinaus bietet das anyway einen geschlechtsspezifischen Videochat „#talktime – gemeinsam durch die Krise“ an. „Uns ist es wichtig, neben der Einzelberatung auch den Peer-to-Peer-Charakter aufrecht zu erhalten, von denen Jugendliche in Orten wie dem anyway profitieren. Bei der #talktime können sie sich untereinander über ihre Herausforderungen austauschen und gegenseitig Tipps geben, ebenso wie Strategien und Lösungsmethoden von den Berater*innen erfahren“, sagt Rabea Maas, Jugendberaterin. Diese Angebote stehen insbesondere auch Jugendlichen offen, die bisher noch nicht an queeren Jugendangeboten teilhaben und in dieser Zeit besonders allein sind.

Manchmal sind es jedoch auch die Eltern, die Hilfestellungen im Umgang mit ihren LSBT*Q-Kindern und damit verbundenen kleineren und größeren familiären Krisen brauchen. Dazu bietet das anyway zweimal wöchentlich eine telefonische Eltern- und Familienberatung an. Darüberhinaus sendet das anyway auf Instagram und YouTube werktäglich Live-Streams zu verschiedenen Themen für LSBT*Q-Jugendliche – u.a. ein interaktives Insta-Café mit Jugendlichen und Gästen aus der LSBT*Q-Community sowie die Quarantäne-WG der Webserie KUNTERGRAU auf YouTube.

Fotos von Léon M. Gruß, www.lmg-fotografie.de