„Mir reicht es alles überhaupt nicht!“
Fünf lesbische und bisexuelle Frauen, die für Sichtbarkeit sorgen (v.l.n.r.): Lilian-Felicitas Prudlo, Susanne Bonnemann, Joanna Stange, Hella von Sinnen und Sina Vogt
Wir alle brauchen Idole in unserer Kindheit und Jugend. Aber für lesbische, bisexuelle und queere Mädchen fehlen oft passende Vorbilder. Im anyway diskutierten u.a. Hella von Sinnen über lesbische Superheldinnen.
„Lesbische Superheldinnen: Das können die fiktiven Comic-Charaktere sein, die die Welt retten. Oder aber die echten Vorbilder, die role models, die als Orientierung dienen“, sagt Moderatorin Sina Vogt zu Beginn des anyway-Talks, der auch als Video angeschaut werden kann (siehe unten).
Bei der Diskussion ist eine echte Superheldin dabei: Lilian-Felicitas „Lilo“ Prudlo, die im preisgekrönten Kurzfilm „Blake“ die Hauptrolle der lesbischen Heldin mit Superkräften spielt. „Sie ist eine Heldin mit Brüchen“, erklärt Lilo. „Sie ist keine Wonder Woman. Wir wollten ein neues Bild kreieren und von Klischees absehen.“ Für sie persönlich sei Kathryn Janeway aus Star Trek ein Vorbild gewesen.
Für Susanne Bonnemann, „Berufslesbe“ von der Diversity-Stelle der Stadt Köln, waren es dagegen die prominenten Lesben, die sie als Heldinnen ihrer Coming-out-Phase bezeichnet. „Die einzigen Lesben, die ich kannte, waren Martina Navrátilová und Hella von Sinnen.“ Später seien Maren Kroymann und Anne Will dazu gekommen. Doch auch Bücher und Filme mit lesbischem Inhalt enthielten wichtige Figuren für sie. Susanne Bonnemann selbst war mit ihrer Partnerin und den Kindern Teil einer WDR-Reportage über Stiefkindadoptionen. „Es war uns wichtig, das zu machen, damit es sichtbarer wird.“
Joanna Stange, Künstlerin und anyway-Mitarbeiterin, fiel es schwer, überhaupt weibliche bzw. lesbische Heldinnen zu finden. Sie nannte insbesondere Astrid Lindgren als ihr weibliches Vorbild. Schon kurz nach Ende des zweiten Weltkrieges, hatte sie Figuren geschaffen wie Pippi Langstrumpf und später Ronja Räubertochter, dessen Charaktere noch heute herausstechen und vielen Mädchen durch ihre Stärke und Unangepasstheit motivieren, Rollenklischees über Bord zu werfen.
Das Coming-out der Tennisspielerin Martina Navrátilová als „Offenbarung“
Und dann ist da noch Hella von Sinnen, die für viele selbst ein Vorbild ist. „Sie war immer die, die voranging“, beschreibt Moderatorin Sina Vogt die Entertainerin. Von Sinnen hat sich früh an Medien orientiert. Superheldinnen aus Comics oder Schauspielerinnen waren wichtig für sie, etwa Grethe Weiser, Bette Davis oder Barbara Stanwyck. „Auf die bin ich abgefahren, in die war ich total verknallt.“ Vorbilder waren sie aber nicht, eher Rollenmodeelle: „Ich habe keine Vorbilder. Ich wollte immer ich sein, wollte immer etwas Neues machen, was es so noch nicht gab.“
Das kann auch daran liegen, dass es von Sinnens Jugend kaum sichtbare lesbische Frauen gab. „Als Kind habe ich gedacht, dass ich krank bin.“ Dass sich mit Martina Navrátilová dann eine Tennisspielerin von Weltrang geoutet hat, bezeichnet Hella von Sinnen als „Offenbarung“. Wenn ihr heute jemand sagt, Homosexuelle hätten doch alles erreicht, kann sie nur den Kopf schütteln. „In der Popkultur, in Comics, da sind wir immer noch seltene Ausnahmen. Mir reicht das alles überhaupt nicht.“
Wie wichtig jedoch starke Persönlichkeiten in der Öffentlichkeit sind, erklärt Joanna Stange: „Wir suchen Menschen, an denen wir uns orientieren können. Durch weibliche, lesbische Vorbilder bekommt Lesbischsein mehr Selbstverständlichkeit.“ Viele lesbische Charaktere würden immer noch männliche Erwartungen bedienen.
Cornelia Scheel habe Lesbischsein einen anderen sozialen Status verliehen
Doch nicht nur für einen selbst, auch für die eigene Umgebung sind bekannte Lesben wichtig, findet Susanne Bonnemann. „Ich habe dann das Gefühl, weniger Vorarbeit leisten zu müssen. Ich bin dankbar für jedes öffentliche Coming-out, weil so auch ich diskriminierungsfreier leben kann.“ Je normaler Lesben im Alltag vorkommen, desto einfacher sei auch das eigene Coming-out.
An dieser Stelle lobt Hella von Sinnen ihre ehemalige Partnerin Cornelia Scheel, Adoptivtochter des ehemaligen Bundespräsidenten Walter Scheel. „Ich war immer die dicke, laute, schrille Lesbe von RT. Aber Cornelia Scheel war es, die gesagt hat, es kommt in den besten Familien vor.“ Lesbischsein habe so einen völlig anderen sozialen Status erhalten. „Ich kann ihr dafür gar nicht genügend Komplimente machen.“ Sie selbst sei nicht mutig gewesen. „Mich hat das nie Überwindung gekostet, ich war einfach ich.“
Appell von Hella von Sinnen: Outet euch!
Die Entertainerin und Schauspielerin hätte sich gewünscht, mit ihr hätten sich mehr Frauen geoutet. „Ich war lange Zeit die einzige in Deutschland“, sagt sie. „Wären sie damals alle aus dem Schrank gekommen, das wär’s gewesen. Aber sie haben sich nicht getraut, und das verstehe ich auch. Sie wären sofort in einer Schublade gelandet.“ Dem stimmen auch Susanne Bonnemann und Joanna Stange zu. „Das hätte zu mehr Selbstverständlichkeit geführt“, sagt Stange. „Und Klischees aufgebrochen, gerade wenn die Leute gedacht hätten: Oh, von der hätte ich es nicht gedacht“, sagt Bonnemann.
Sie selbst habe auch erfahren, dass sie durch ihre zwei Kinder noch mehr akzeptiert wird. „Für die, die vorher skeptisch waren, ist es jetzt nicht mehr so fremd“, sagt sie. Auch wenn Kinder ihr einen „spießigen Touch“ verleihen, helfe es dennoch, Berührungsängste abzubauen.
Auf die Frage ans Publikum, wo heute Lesben noch sichtbarer werden müssen, kommen vielfältige Antworten: In Videospielen, in der Kirche, im Sport, Gesundheitssystem, aber auch in Senioreneinrichtungen. „Dort gibt es wenige Vorbilder“, sagt Susanne Bonnemann. „Ich würde mir Schulaufklärungsprojekte auch für Seniorenheime wünschen.“
Generell, warnt Hella von Sinnen, habe sie Angst vor einem Backlash. „Wir müssen aufmerksam bleiben.“ Damit verbindet sie einen Appell an alle Anwesenden: „Wenn hier jemand ungeoutet ist: Ihr müsst das thematisieren. All die Merkwürdigkeit ist dann weg. Vielleicht werdet ihr gedisst, aber du kannst wenigstens du selbst sein. Alles andere ist nicht so wichtig!“