„Zu jung für einen Fetisch?“
Von links nach rechts: Marcel, Stephan Claasen, Markus Hecker, Benjamin Scholz.
Junge Männer haben Fetische – ganz klar! Aber geredet wird darüber meist zu wenig. Nur wer selbstbewusst mit seiner Sexualität umgeht, kann sich auf schützen. Im anyway-Talk ging es deshalb um Fetische und Vorlieben.
„Irgendwie“, beginnt Moderator Benjamin Schulz den anyway-Talk, „finden viele Menschen Fetische merkwürdig oder komisch.“ Dabei habe doch jeder Mensch irgendwelche Fetische oder Vorlieben – und die Vielfalt werde immer größer. Füße, Frauenkleidung, Sadomaso, Luftballons, Leder, Rubber, Sneaker. Die Liste ließe sich beliebig erweitern. Grund darüber zu reden. Den ganzen Talk gibt es bei YouTube zu sehen (siehe unten).
Stephan Claasen kennt sich besonders gut mit der Vielfalt der Fetische aus. Seit über elf Jahren betreibt er in Köln die „Station2B“, einen „ganz normalen gastronomischen Betrieb mit Tanzfläche zum Kennenlernen und Keller zum näher Kennenlernen“, wie er den Club selbst beschreibt. In der „Station2B“ gibt es Motto-Tage. Mittwochs werde etwa das Thema Sportswear vorgegeben. Stephan Claasen betont jedoch: „Das ist kein Dresscode. Bei uns ist jeder immer willkommen.“
Mr. Fetish NRW: „Wir zeigen, dass wir Teil der Community sind.“
Sportswear sei aktuell ein sehr beliebter Fetisch, den auch viele junge schwule Männer hätten. Dafür hat Stephan Claasen verschiedene Erklärungen: Einerseits seien Sportklamotten sehr günstig zu haben. Andererseits fallen Sporthosen oder Trikots auch im Alltag nicht auf. Und sie sei nicht so sehr mit Homosexualität verbunden wie etwa Leder.
Wer gerade erst seinen Fetisch entdeckt oder ausprobieren möchte, der beginnt die Entdeckungstour jedoch meist nicht in einem Club wie der „Station2B“. Viele fangen im Internet an, sich zu informieren. Das hat auch Markus Hecker erlebt. Er war 2015 Mr. Fetish NRW und ist Vorstand von RheinFetisch. Auf Internet-Portalen wurde er häufig von Interessierten angeschrieben. „Das ist die Aufgabe des Mr. Fetish: Zu zeigen, dass wir Teil der Community sind.“
Marcel von KUNTERGRAU: „Ich dachte, der Fetisch sei unnormal“
Dass Fetische nicht selten negative Reaktionen hervorrufen, erklärt Markus Hecker sich so: „Neues und Fremdes macht den Leuten immer Angst. Was sich nicht schickt und anders ist, wird abgelehnt. Dabei nehmen wir doch niemandem etwas weg.“ Er selbst gibt vor allem Leder und Puppy-Play als Fetische an. Puppy-Play, also dass sich ein Partner als Hund verkleidet, eigne sich besonders als „Einstiegsfetisch“: „Da kann man auf spielerische Art mit Dominanz und Unterwürfigkeit umgehen.“
Dem stimmt auch Marcel zu. In der Webserie KUNTERGRAU hat er den braven Leopold gespielt. „Bist du denn nicht eigentlich zu jung für einen Fetisch?“, fragt Moderator Benjamin Scholz. Da kann der 23-Jährige nur lachen. „Ich glaube, wir Jüngeren sind einfach nicht so präsent.“ Er selbst habe schon sehr früh gemerkt, dass er eine Vorliebe für Machtgefälle hat. „Aber ich habe davon keinem erzählt. Ich dachte, das ist unnormal.“ Genau wie seine Homosexualität musste er lernen und akzeptieren, dass auch der Fetisch zu ihm gehört.
So paradox es klingt: Gefesselt zu sein, bedeute für ihn eine große Freiheit. „Da muss ich für keine Dinge die Verantwortung übernehmen.“ Das erfordere jedoch eine besonders intensive und vertrauenswürdige Beziehung. Deshalb sollte es auch immer sogenannte Safe Words geben: Wörter, die der Partner sagt, wenn es ihm zu viel oder unangenehm wird. Markus Hecker stellt das Ampelprinzip vor: Sagt der Partner „gelb“, heißt das, dass es gerade noch so geht. „Rot“ heißt jedoch, dass eine Grenze überschritten wurde. „Dann wird die Situation aufgelöst. Niemand wird zu irgendetwas gezwungen.“
„Wenn du Sex als Hobby hast, musst du die Spielregeln kennen“.
Achtsamkeit gilt auch beim Thema Safer Sex. Gerade Fetischsex wird von vielen Menschen als ominös und schmuddelig und damit potenziell gefährlicher wahrgenommen, was die Ansteckung mit HIV und Geschlechtskrankheiten betrifft. Stephan Claasen widerspricht diesem Bild. „Safer Sex ist keine Frage des Fetisch“, sagt er und verweist auf eine verschiedene Schutzmöglichkeiten wie Kondom, Schutz durch Therapie und die PrEP (Pille gegen HIV-Ansteckung). Zu letzterer bietet er monatlich in der Station2B einen Informationsstammtisch an.
Markus Hecker sieht den Safer-Sex-Begriff noch umfassender: „Wenn du Sex als Hobby hast, musst du das Spielzeug und die Spielregeln kennen.“ Das gilt nicht nur für die Ansteckungen mit Krankheiten, sondern auch für die körperliche und psychische Gesundheit.
Drei Gäste, drei Wünsche
In einer Partnerschaft kann ein Fetisch zum Problem werden, wenn der andere Partner ihn nicht teilt. „Da sollte man seinem Partner gegenüber ehrlich sein, aber vor allem auch sich selbst“, rät Markus Hecker. „Da muss man sich fragen: Ist das nur eine Laune oder wirklich wichtig?“ Für viele Paare ist in so einer Situation auch eine offene Beziehung eine Lösung. Außerdem verändern sich Fetische auch über die Zeit, weiß Stephan Claasen aus eigener Erfahrung. „Ein Fetisch ist lebendig. Ich hatte viele in meinem Leben, aber ich lebe sie nicht alle aus.“
Zum Abschluss des anyway-Talks, der in Kooperation mit der Präventionskampange HERZENSLUST und unter Förderung der Aidshilfe NRW stattfand, bittet Benjamin Scholz seine Gäste, Wünsche zu formulieren. Markus Hecker wünscht sich mehr Aufmerksamkeit für Fetische. Dass sie etwa beim CSD mitlaufen, sollte nicht in Frage gestellt werden. „Ja, die müssen dabei sein. Ihnen ist der CSD zu verdanken.“ Immerhin übernahm die Fetisch- und insbesondere Lederszene eine Vorreiterrolle im Kampf gegen HIV und Aids. Stephan Claasen hat jedoch auch einen Wunsch an seine eigene Szene: „Ich wünsche mir eine offenere Haltung, aber nicht nur innerhalb der Community, sondern auch innerhalb der Fetischszene. Überall gibt es mehr Ausgrenzung.“ Marcel ergänzt, dass er sich mehr Aufklärung von offizieller Seite wünsche: „Wer nach Fetischen suche, lande häufig auf ominösen oder pornographischen Seiten. Wieso informiert die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung nicht darüber?“